"Man reist ja nicht um anzukommen, sondern um zu reisen." Johann Wolfgang von Goethe

Kyiv - Vorzel - Irpin- Gostomel - Butscha März 2022

 "Gefühlt mit allem, was es gibt"
(Bericht weiter unten)




Kyiv

Aus familiären Gründen ging es wieder in die Ukraine, diesmal in die Hauptstadt Kyiv, wo ich das letzte Mal zum Jahreswechsel 21/22, also wenige Wochen vor dem Beginn der sogenannten "Spezialoperation" war.
Flüge in die Ukraine sind bekanntlich eingestellt und eine Busfahrt wäre zu lange und unbequem. Somit blieb nur mehr eine Zufahrt im Liegewagen über.
Am Montag am Nachmittag rollte mein Zug Richtung Osten. Mein Ticket, welches ich eigentlich gar nicht bekam, also eher meine "Mitfahrerlaubnis", wurde über eine WhatsApp Nummer bestellt. Direkt beim Einsteigen musste ich zahlen, bekam aber keine Quittung. Einige Leute, ua Mitarbeiter der ungarischen Bahn, erheben nämlich eine private Mautgebühr.
Ab jetzt waren es "nur" mehr 25 Stunden Zugfahrt bis Kyiv. Diesmal fühlte ich keine komischen Blicke gegen mich, dennoch hatten sich mehrere Leute erkundigt, ob ich etwa ein Soldat sei. Also ein Söldner, da man wusste, dass ich kein Ukrainer bin. Auch wurde ich von einer jungen Ukrainischen Frau gefragt, ob ich Angst hätte. Ich antwortete mit einer Gegenfrage. Ob sie Angst hätte. Sie verneinte. Zu dieser Zeit hatte ich wirklich keine Angst. Am nächsten Morgen, noch immer im Zug, wurden Erinnerungen an meine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn 2016, von Österreich über Moskau bis nach Vladivostok binnen 5 Wochen, wach. Alles mit dem Zug. Die längste Etappe im Zug dauerte für mich damals über 49 Stunden. Ob ich sowas wieder schaffen könnte?
Wir fuhren durch die Karpaten, die ein wenig noch mit Schnee bedeckt waren. Zum Glück nahm ich doch meine Jacke mit.
Pünktlich kamen wir am Dienstagabend in Kyiv an. Olga wartete am Bahnhof schon auf uns und brachte uns in ein Restaurant. Für mich gab es selbstverständlich Borsch. Rot.

Am Dienstag traf ich mich mit Sergey. Sergey kommt aus Vorzel und war in von der Ukraine befreiten Gebieten, sowie wenige Kilometer an der Frontlinie im Einsatz. Ich lernte Sergey 2018 kennen. Damals war das Champions League Finale Liverpool gegen Real Madrid in Kyiv. Ich hatte damals für meine 4 Begleiter und mich schon ein halbes Jahr im Voraus Zimmern reserviert. Jedoch wollte das Hotel diese Buchung stornieren und teurer wieder verkaufen. Bei allen Hotels sind damals die Preise unglaublich gestiegen. Deswegen hatten sich Menschen aus Kyiv in einer Facebook Gruppe zusammengeschlossen und boten Fußball Fans tausende kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten in den eigenen 4 Wänden an. Eine unvergessliche tolle Geste der Menschen in Kyiv. Ich kann mich nicht erinnern, dass es so eine Aktion in einer anderen Stadt jemals gegeben hat. Da ich nicht wusste ob wir 5 ins Hotel kommen würden, suchte ich nach einer Alternative. Sergey hätte uns alle aufgenommen, jedoch konnte ich dem Hotel klar machen, dass wir einen gültigen Vertrag haben. So blieb es damals bei einer Partynacht.
Sergey gab mir eine Adresse auf der Flaniermeile Kretschatik. Wir trafen uns in einem Kaffee. Ich hatte Sergey nicht sofort wieder erkannt, was mir extrem peinlich war. Sergey nahm einen Kaffee mit Kuchen und ich nur einen Kaffee. In diesem Einkaufszentrum war heute sehr wenig los. Unser Gesprächsthema war klar. Sergey erzählte mir dass er unglaubliches Glück gehabt hatte. Im Jänner 2022 habe er sein Haus in Vorzel verkauft und sei von dort weggezogen. Dazu sollte erwähnt sein, dass Vorzel eine Nachbarstadt von Gostomel und Irpin ist und nur einen Kilometer entfernt von Butscha liegt. Alles Nordwestlich von Kyiv. Butscha, und diese kleine Region, erlangte dank Russland weltweit traurige Berühmtheit. Ende März 2022 verübten russische Soldaten ein Massaker an der Zivilbevölkerung. Es gab hunderte Tote. Sergey erzählte mir dass er am 2.4.22 nach Butscha fuhr und das einzige Reporter Team aus Europa (RAI/Italien) begleitete. Er war Zeuge der vielen Toten. Einige kannte er persönlich. Auch Freunde mit denen er früher Fußball spielte. Tod. Alle von Russen, im Auftrag von Putin, hingerichtet. Er sah die Verbrechen der Russen mit eigenen Augen. Teilweise fiel ich vor Respekt, für das was er durchmachen musste, in die Sprachlosigkeit. Innerlich kochte ich vor Wut. Warum? Weil es in meiner Heimat Putin Anhänger gibt, die dieses russische Verbrechen, wie zB in Butscha und Umgebung abstreiten. Da es aktuell besprochen wird, wollte ich seine Meinung zu westlichen Truppen zur Unterstützung in der Ukraine erfahren. Er ist der Meinung, dass das zur Zeit nicht nötig ist. Wichtiger sind Hilfen zur Verteidigung der Menschen. Sergey kennt auch andere Leute in Österreich. So hat er mit einen meiner Landsleute über den Krieg gesprochen. Der Österreicher sagte "für diese Regierung (schwarz /grün) würde ich nicht in den Krieg ziehen". Sergey machte klar, dass auch er nicht im Krieg für Selensky steht. Sondern für seine Heimat! Er erwähnte auch eine Freundin aus Mariopul, der wenige Stunden vor der russischen Bombardierung ihrer Heimatstadt die Flucht in den Westen gelang. Sie war in Mariupol Geschäftsfrau und will hier in Österreich ebenfalls etwas aufbauen. Jedoch werden ihr sehr viele Steine in den Weg gelegt. Das sind dann jene Menschen, die sich ein besseres Auto leisten können. Interessant fand ich seine Erzählung über ein Familienmitglied in Russland das meint, Russland wäre das beste Land der Welt. Sergey fragte sich zu Recht, wie man so etwas glauben kann, wenn man bis jetzt nur das Leben in Russland gesehen hat. Sergey hat übrigens mehr Länder als ich besucht. Kein Wunder, dass er diese Aussage widerlegen kann. Es wundert mich natürlich auch in Österreich, wie manche Menschen Putin verehren, aber noch nie in Russland waren und das Leben dort nicht kennen. Ich sprach Fake News und Propaganda an. So veröffentlichte das staatliche russische Fernsehen wenige Stunden vor unseren Treffen einen Beitrag aus der vorübergehend besetzten Krim. Es zeigte eine Person, die den Sieg bei den sogenannten "Wahlen" in Russland, mit einer Menschenmenge feierte. Eindeutig war es ein Doppelgänger von Putin da sich das Original offensichtlich nicht auf die Krim traut. Das staatliche russische Fernsehen möchte aber dennoch den Eindruck erwecken, dass es sich hier um Putin handelt. Diese Art von Propaganda ist Sergey nicht so wichtig. Es würde für den Krieg keinen Unterschied machen. Vielleicht weiß Sergey nicht mit welcher Propaganda Russland Menschen auch in Österreich manipuliert. Dass sehr vielen Menschen in Russland das Gehirn gewaschen wurde, oder besser gesagt verdreckt wurde, hat er mir gegenüber erwähnt. Er sieht das als ernstzunehmendes Problem. Er erklärte mir wie Putin die Meinung der Russen beeinflusst. Hier habe ich meine Erfahrung von einer meiner Reisen nach Russland erzählt. 2015 reiste ich nach St. Petersburg, Moskau und Volgograd, besser bekannt als Stalingrad. In St. Petersburg, hinter der Peter Paul Festung befindet sich ein Militär Museum. Dass dort Panzer und Waffen ausgestellt werden, ist klar. Was ich aber bis heute erschreckend finde waren Malereien von Kindern. Während bei uns Kinder Blumen, Häuser, Autos, Tiere und Menschen zeichnen sollen, müssen Kinder in Russland andere Bilder malen. Kriegsbilder. Menschen erschießen Menschen. Panzer fahren über Land und Leute. Natürlich wurde Blut auch gezeichnet. So erzieht Russland diese Kinder für das Leben. Gerne kann ich diese Fotos zu Verfügung stellen. Als ich dann einige Tage später in Moskau war, sah ich in der Innenstadt  einen Souvenirstand mit Luftballons. Nein, nicht "Hello Kitty" , oder "Bob der Baumeister" sondern Kampfjets und Panzer. Ein Zerfall von Russland wird aktuell nicht besprochen. Aber wer hat am 26. 4. 1986 geglaubt, dass das Ende der Sowjetunion begonnen hat. Sergey hält einen Zerfall Russlands für gefährlich. Es seien zu viele Atomwaffen über das größte Land der Welt verstreut. Diese hätten dann alle neue "Eigentümer". Dann sprach Sergey noch die „grünen Männchen“ an, die ab Februar/März 2014 in die Ukraine einmarschiert sind und die Interessen Putins, also die Zerstörung der Ukraine, mit Waffengewalt begonnen haben. Leider haben einige in Österreich diese Tatsache bereits wieder vergessen, oder wussten sie gar nicht, weil sie sich nie für den russischen Krieg in der Ukraine interessiert haben. Mittlerweile war mein Kaffee leer. Sergey holte sich noch einen Kaffee und mir ein Wasser, während ich auf der Toilette war. Zurück gekommen nahm ich einen Schluck. Lange konnte unser Gespräch nicht mehr fortgesetzt werden. 12:21 Luftalarm! Zuerst wurden wir über die Sprechanlage vom EKZ informiert. Sekunden später ging meine Alarm App los. Ich wurde nervös. Sergey hingegen blieb ruhig. Wir tranken aus und verließen das Einkaufszentrum. Da russische Raketen in Kyiv auch auf Einkaufszentren gezielt wurden und es deshalb Tote gab, ist diese Evakuierung gesetzlich vorgeschrieben. Wir hielten uns auf der Straße auf, was meiner Meinung nach nicht der beste Ort zu dieser Zeit war. 12:46 Entwarnung. Sergey musste zu einem Termin und ich begann mit meiner Stadttour.
Allgemein sah ich wenige Polizisten. Vereinzelt sah ich Personen, Frauen und Männer, unbewaffnet in militärischer Uniform. Ich spazierte die Kretschatik in Richtung Maidan. Auf einer Wand wurde riesengroß "Mariopul - Helden Stadt" in den Farben der Ukraine gesprüht. Am Maidan angekommen erblickte ich ein Fahnenmeer. Hauptsächlich Ukrainische Fahnen, aber auch Georgische, Dänische, Deutsche, Schweizer, Australische, US-Amerikanische, Aserbaidschanische und einige andere Fahnen wehten in Gedanken an die Toten im Zentrum Kyivs. Wieder meine Frage: Gibt es so etwas oder ähnliches in Russland für die über 400.000 geopferten russischen Soldaten? Wird in Russland auch öffentlich an die Toten gedacht? Ich glaube nicht. So ist eben Russland. Einige Bilder der Gefallenen sind zwischen den Fahnen platziert. Ein trauriger Anblick. Ich hebe meinen Kopf und blickte leicht nach rechts in die Straße rein. Dort, nur wenige Meter entfernt, befindet sich die Wohnung in der ich 2012 während der Europameisterschaft tagsüber schlafen durfte. Die Nächte wurden damals anders genutzt. 2012 war das wirklich ein wunderbarer Ort für mich. Dann wurden dort ab Ende 2013 über 100 Menschen, die ua gegen das Scheitern des Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU und gegen Korruption demonstrierten, unter der Leitung des damaligen prorussischen Präsidenten der Ukraine, ermordet. Erst 2015 war ich dann wieder in Kyiv. Der Maidan hatte sich in eine riesige Gedenkstätte verwandelt. Kerzen bildeten riesengroß den Ukrainischen Dreizack. Jene Stellen, an denen Menschen ermordet wurden, waren extra markiert. Auf der Straße, rechts vom Hotel Ukraine, rauf zum Stadion von Dynamo Kyiv, waren und sind bis heute die Bilder der Getöteten als Erinnerungsstätte. Das Denkmal für die Kyiver Stadtgründer, welches 1982 für die Feierlichkeiten 1.500 Jahre Kyiv erbaut wurde, ist heute verhüllt um es vor Splitter von einem russischen Bombenhagel zu schützen. Ich ging weiter zur Michaelskathedrale. Seit über 10 Jahren wird hier eine Seitenwand mit den Gesichtern der Toten von den Maidan Demonstrationen als Gedenkstätte genutzt. Vor der Kathedrale stehen zerstörte Panzer und Fahrzeuge aus dem aktuellen Krieg. Weiter ging ich zum St. Andreassteig. Für gewöhnlich ist dieser mit Touristen gefüllt. Gähnende Leere. Mein letzter Halt für heute war die Statue Mutter Heimat. Ich kann mich noch erinnern, als ich sie zum ersten Mal erblickte. Ich fuhr im Sommer 2012 von Luhansk nach Kyiv und kurz vor der Ankunft sah ich diese 62 Meter hohe Statue mit einem Schwert und einem Schild, auf das das Symbol der Sowjetunion zu sehen war. Im Juli 2023 wurde im Zuge der nötigen Dekommunisierung dieses Symbol entfernt und durch den Ukrainischen Dreizack ersetzt. Im unteren Teil dieser Statue befindet sich ein Museum. Ich war schon einige Male dort, ging dennoch wieder rein. Gleich beim Eingang liegt das abmontierte sowjetische Symbol am Boden. Die linke Ähren Seite fehlt. Nicht nur über den aktuellen Krieg, sondern auch über andere Kriege findet man hier Ausstellungsstücke. Ua sind einige zerstörte Drohnen ausgestellt. Vor dem Museum stehen 3 Panzer, die aber bereits seit mindestens 2015 dort platziert sind. Neben der Statue befindet sich ein zweites Museum. Davor liegen Panzer und Hubschrauber Teile, die die Russen in den ersten Wochen in den Vororten von Kyiv verloren hatten. Gleich beim Eingang stehen im russischen Stern Schuhe aufgestellt. In den großen Hüllen der Raketen, befinden sich Gegenstände, die die russischen Soldaten während dem Vergewaltigen von Frauen und dem Töten von Zivilisten verloren oder vergessen haben. Als ich dieses Museum verlassen wollte, bat mich eine Mitarbeiterin, die weder Deutsch noch Englisch sprach, mit ihr zu kommen. Mit dem Translator erklärte sie mir, dass hier Ausstellungsstücke aus einem Keller in Gostomel zu sehen sind. So lebten Menschen in den Kellern von Gostomel, während sie sich vor den Mördern aus Russland versteckten. Es war dunkel. Ich durfte kein Blitzlicht verwenden. Ich musste vorweg gehen. Mir war nicht wohl bei diesem Gang. Mit ihrem Handy machte diese Frau hinter mir bewusst wenig Licht. Ich sah viele Matratzen und Decken. Eine Speisekammer, eine Art Wohnzimmer, aber hauptsächlich Matratzen. Am Ende wurde mir noch ein Kinderwagen mit Blutflecken gezeigt. Ich kann mir nicht erklären, wie diese Blutflecken in den Kinderwagen gekommen sind. Mir war schlecht. Ich wollte raus. Dennoch habe ich mir alle Ecken angeschaut und nicht meine Augen vor diesem Leid anderer Menschen verschlossen. Auf dem Gelände befinden sich noch einige zerstörte Panzer und zerstörte Fahrzeuge. Ich fuhr zurück in die Wohnung, wo bereits mein Abendessen auf mich wartete. Gemütlich mit einem Bier wurde der Tag gemeinsam beendet. Wir ging schlafen. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich eine Ausgangsperre. Diese dauerte von Mitternacht bis 5 Uhr Morgens.

21. März, 2 Uhr 21: plötzlich Lärm. Ich wurde aus dem Schlaf gerissen. Mein Puls schoss in die Höhe. Es war die Alarm App. Luftalarm über Kyiv! Ich war völlig verschlafen, "damisch" würde man sagen. Ich wusste nicht genau was los ist. Dieses Alarm Geräusch ist so unglaublich widerlich. Anya verließ das Schlafzimmer und legte sich alles andere als klug  im Gang hin. Olga hielt sich ebenfalls am Gang auf. Ich war verwirrt. Ich wusste nicht was ich tun soll. Ich entschied mich, negativ gezeichnet von meiner Müdigkeit, nicht für das Richtige und legte mich ins Bett zurück. Ich war mir nicht bewusst um was es ging. Schlafen konnte ich nicht. Oder war es eine Art Halbschlaf? Plötzlich konnte ich Detonationen akustisch wahrnehmen. Endlich erkannte ich die Gefahr. Ich sprang auf, zog mich an, forderte die anderen auf das Gleiche zu tun und ging in den Luftschutzbunker runter. Dort waren schon ca 30-40 Menschen. Es standen viele Sesseln herum. Solche Sesseln wie wir sie aus den österreichischen Schulen kennen. Die meisten Personen, was sich später herausstellen lässt, waren nicht von diesem Wohnblock. Hauptsächlich waren ältere Frauen im Bunker. Jede hatte eine
eigene Tasche mit. Vermutlich hatten sie Essen, Getränke und nötige Medikamente drinnen, sollte es länger dauern. Aber auch Mütter mit ihren Kindern waren unten. Ein Raum war finster. Dort waren Menschen drinnen, die versuchten zu dösen. Im anderen Raum, dort wo ich war, wurde geflüstert. Warum Anya und Olga nicht mitgekommen sind, obwohl ich es ihnen gesagt habe, warum andere Menschen nicht in den Bunker gekommen sind, kann ich mir nur damit erklären, dass diese Menschen müde von dieser nötigen Sicherheitsmaßnahme sind. Mitten in der Nacht auf, stundenlang im kalten Bunker, am nächsten Tag arbeiten. Und das immer wieder. Sowas geht an die Kräfte eines Menschen. Aus meiner Sicht finde ich es dennoch unverantwortlich gegen die eigene Person. Jedoch muss ich zugeben, dass ich es nicht weiß wie es ist wenn man nächsten Tag arbeiten muss und sowas ständig vorkommt. Durch diverse Telegram Kanäle wurden wir am laufenden gehalten was in unserer Nähe passiert. Ängste oder Unruhe konnte ich bei keiner Person erkennen. Im Gegenteil, manche versuchten, wie erwähnt, zu schlafen. Um 0510, also nach 2 Stunden und 49 Minuten wurde der Luftalarm aufgehoben wir verließen unseren Bunker. Durch diesen russischen Angriff  wurden 13 Menschen verletzt. Zum Glück gab es keine Todesopfer. Es war der erste russische Angriff auf Kyiv seit 44 Tagen.
Was ich extrem bewunderte ist die Tatsache, dass die ukrainische Armee 2 baltische Raketen, welche aus Russland abgefeuert wurden und 29 Raketen der Typen KH101, KH55 und KH555 die durch den russischen Bomber Tupolev 95MS abgefeuert wurden, neutralisieren konnte. Also alle 31 Raketen, die Russland zum Töten von Menschen in die Ukraine geschossen hat, konnten dank der westlichen Verteidigungshilfen neutralisiert werden. Hier sieht man wieder, dass die Ukraine zur Verteidigung von Menschenleben Hilfen aus dem Westen braucht. Irgendwann um 8 schlief ich wieder ein und deswegen starte ich meine Tour erst am späten Vormittag.

1201. Richtig. Luftalarm. Ich war im Taxi und bevor ich mir einen Bunker finden konnte, war bereits um 1210 dieser Alarm wieder vorbei. Mein Ziel heute war die Region Butscha, mit Vorzel, Irpin und Gostomel. Taras sollte mein Taxifahrer und Tourguide sein. Zuerst fuhren wir durch Irpin. Die Brücke nach Irpin, über den Fluss der ebenfalls Irpin heißt, ist auf einer Seite komplett zerstört und nicht mehr befahrbar. Im zentralen Park liegen noch heute zerstörte Autos meterhoch auf einem langgezogenen Haufen. Er zeigte mir seinen Wohnblock, aus dem er mit seinem Sohn und anderen Zivilisten gegen russischen Soldaten aktiv Widerstand leistete. Ich konnte einige Häuser mit Einschusslöchern sehen. Auch eine Kirche wurde beschossen. Taras zeigte mir in Butscha einige Gebäude die von Russen zerstört wurden. Wie schon erwähnt, in Butscha richteten Russen ein Massaker mit hunderten Toten Zivilisten an. Spuren sind nach 2 Jahren immer noch zu finden. Aber so wie die Stadt Ende März 2022 von den Russen verlassen wurde, sieht diese Stadt natürlich nicht mehr aus. Ich wollte zur Mrija. Das ist die Antonov 225 mit 6 Triebwerken. Die maximale Zuladung beträgt 250 Tonnen! Die gesamte Startmasse beträgt 640 Tonnen. Mit der maximalen Zuladung konnte das Flugzeug über 2.000 km fliegen. Leer waren es über 15.000 km. Heimat Flughafen war Gostomel. Mrija, was auf Deutsch Traum heißt, wurde in den ersten Kriegsstunden 2022 durch die Russen komplett zerstört. Im Herbst war die AN 225, von der es nur ein Stück gab, 2 mal in Linz. Leider habe ich beide Möglichkeiten versäumt sie zu sehen. Um nach Gostomel zu kommen fuhren wir auch durch Vorzel, die Heimatstadt von Sergey, den ich einen Tag davor traf. Auch hier Spuren vom Krieg. Aber auch eindeutig sichtbar, dass in den letzten 2 Jahren einiges wieder aufgebaut wurde. Auch erkannte ich ein ausgebranntes Auto zwischen den Bäumen. Wir blieben stehen, denn von weiten erkannte ich die beiden Hangars. Im rechten sollte die An225 stehen. Ich ging bei den Bäumen vorbei und blieb ca 100 Meter vor den Hangars stehen. Ich sah, dass das Dach vom zerstörten Hangar, wohl aus Sicherheitsgründen, abgetragen wurde. Von der zerstörten Mrija konnte ich überhaupt nichts sehen. Wir fuhren weiter zum Flughafen Eingang. Es war klar dass wir nicht rein durften, aber fragen kostet doch nichts. Über die Stadt Gostomel fuhren wir in Richtung Kyiv. Taras zeigte mir noch zerstörte Häuser. Zerstörte Mauern, eingebrochene Dachstühle, abrissreife Häuser... Bei einem Haus konnte man die vernichtete Einrichtung erkennen. Auch einen Supermarkt, der durch die Russen völlig zerstört wurde, lag auf unserem Weg. Hier war nur mehr das Dach auf einigen Stehern. Alles andere wurde entsorgt. Wir fuhren nach Kyiv rein. Taras machte mich auf das Militär bei den Einfahrten aufmerksam. Auch hier, Panzer Igeln, alte Autoreifen, Betonblöcke... Dahinter im Wald noch weitere versteckte Stellungen. Taras, dessen Frau seit 2 Jahren in Wien lebt, brachte mich zum Gebäude, das in der letzten Nacht durch den russischen Angriff beschädigt wurde. Ich kannte die Bilder noch nicht, sah die Schäden zum ersten Mal. Glassplitter lagen überall herum. Die Druckwelle muss dafür verantwortlich gewesen sein. Am Gebäude erkannte ich Brandspuren und andere Beschädigungen. Eine alte Frau, sie muss unumstritten über 70 gewesen sein, packte bei den Aufräumarbeiten an und trug neue Latten ins Gebäude. Ich weiß nicht wohin, denn das Gelände war abgesperrt. Wir fuhren weiter. Später werde ich die Bilder dieser Zerstörung im Internet sehen. Ausgebrannten Wohnungen, zerschmolzene Einrichtungsgegenstände, ausgebrannte Fahrzeuge und ein ungefähr 3-4 Meter tiefer Krater. Und das obwohl diese Rakete abgeschossen wurde. Irgendwie unvorstellbar welche vernichtende Kraft so eine Rakete hat. In der Nähe vom Kyiver Hauptbahnhof wurden mir noch 2 Gebäude gezeigt, die in den ersten Kriegswochen durch russische Angriffe zerstört wurden. Die Sonne ging unter, ich bedankte und verabschiedete mich. Heute ging es wieder in ein Restaurant. Ich hatte mir gleich mehr bestellt, damit ich bei meiner Heimreise am nächsten Tag, die sich von Freitag 0630 in der Früh bis Samstag 2100 ziehen sollte, eine Verpflegung haben würde. Der direkte Zug nach Wien war ausgebucht. Mir blieb nur mehr eine komplizierte Heimfahrt über. Freitag am Morgen von Kyiv nach Lemberg, dort schlafen, am Samstagmorgen mit dem Bus nach Przemyśl (das ist in Polen und fast unmöglich auszusprechen) und von dort mit dem Zug Richtung Graz nach Wien. Nach dem Essen, natürlich wieder Brosch, fuhren wir nach Hause.
Olga wartete bereits mit der Realität, sprich mit schlechten Nachrichten. Es würden mindestens 9 Bomber startbereit in Russland stehen. Sie war sich sicher, vielleicht auch aus Erfahrung, dass die Russen heute Nacht wieder Bomben auf die Ukraine schießen würden um Menschen zu töten. Nicht dass ich nach all dem Erlebten gute Laune hätte, aber die schlechte Laune verschlechterte sich weiter! Olga glaubte um 2 oder 3 Uhr würde es losgehen. Ich wusste nicht was ich machen sollte. Olga war bei diesen Erzählungen komplett ruhig. Würde sie mich veraschen? Ich lag im Bett, das Licht war an. Ich wollte schlafen, ich konnte nicht schlafen. Irgendwie entwickelte sich Angst in mir. Das Gefühl Angst ist keine Schande, sondern überlebenswichtig. Wichtiger als Liebe. Ein Mensch kann ohne Liebe leben. Aber wenn er in gewissen Situationen keine Angst spürt, kann das Hirn keine Schritte zur Beseitigung der Gefahr veranlassen. Die wenigstens würden auf ein gespanntes Seil über eine Meter tiefe Schlucht schutzlos balancieren. Weil das Hirn, dank der Angst, eben Nein sagt. Olga erklärte mir zuerst die Arten der verschiedenen Marschflugkörper. Die Raketen, die schnell sind, die könne die Ukrainische Armee, dank den Hilfen aus dem Westen, abschießen. Das hatten wir ja letzte Nacht. Von den 31 Raketen wurden alle 31 neutralisiert. Probleme würden die Shehad Drohnen aus dem Iran bringen. Sie sind schwer zu treffen, jedoch sind diese langsam und laut, was Zeit bringt das eigene Leben im Bunker zu schützen. Olga erzählte mir noch von ihrer tagelang Flucht vor den russischen Bomben im Februar 2022. Sie wurden damals von Bomben und Sirenen geweckt. Eine Flucht war anfangs nicht möglich, da niemand wusste welche Taktik der Feind aus Russland hatte. Die Bilder, wie russische Bomben überall in der Ukraine einschlagen, vor allem in zivilen Gebäuden, zwangen sie zur Flucht. Die Ukraine hatte im Februar 2022 keine nötige Hilfe aus dem Westen. So hatte Russland beim Zerstören von Gebäuden und beim Töten von Menschen ein leichtes Spiel. Am 3. Tag erfuhr sie, dass sie über Moldawien in den Westen flüchten könnte. Sie hatte Angst. Sie, ihre Mutter und ihr Stiefvater fuhren durch die Nacht, kein anderes Auto auf der Straße. Dazu die schrecklichen Zustände der Straßen in der Ukraine. Sie wusste aber auch, dass Russen auch auf zivile Autos schießen. Bilder und Videos gab es bereits auf Telegram. Olga gibt heute zu, dass sie nicht tauglich war Auto zu fahren. Sie kannte den Weg nicht und wusste nicht wohin. Sie schickte Anya einen Standort und wurde so aus Österreich navigiert. In Moldawien wollten sie in ein Hotel. Alles belegt mit Menschen aus der Ukraine die vor den Russen flüchten mussten. Eine Polizeistreife brachte sie dann in eine Unterkunft. Die Flucht dauert über 3 Tage. Auch berichtete sie mir über die Verbrechen der Russen in Mariopul. Die Russen haben ganze Gassen und Siedlungen in Schutt und Asche gelegt. Am ersten Tag hörte man aus den Trümmerhaufen Hilfe Schreie. Niemand half, weil die Menschen Angst um das eigene Leben hatten und die Russen zum Töten gekommen sind. Am 2. Tag wurden die Hilfe Schreie weniger. Am 3. Tag, spätestens am 4. Tag, gab es keine Hilfe Schreie mehr. Beruhigt haben mich diese Worte nicht. Noch am späten Abend checkte ich die Warn App ab. Ich sah dass fast in der gesamten Ukraine Luftalarm ausgerufen war. Ich war mir sicher, dass es jetzt nur mehr eine Frage der Zeit sei bis Kyiv dran kommt. Gegen Mitternacht musste ich eingeschlafen sein.
 
0428 Luftalarm über der kompletten Ukraine. Russland greift schon wieder an. Ich zog mich an, nahm meine Jacke und etwas zu trinken und ging in den Bunker. Ich war der dritte diesmal. Mit der Zeit kamen andere Menschen die im Bunker Schutz vor den russischen Bomben suchten. 15 Minuten nach Alarmierung kam eine Mutter mit ihren 2 Kindern. Eines war so klein, es war ja fast ein Baby, dass es von der Mutter getragen werden musste. Dennoch hat es diese Mutter geschafft ihre beiden Kinder zu wecken, anzuziehen, in Jacken zu stecken und in den Bunker zu gehen. Einige bekannte Gesichter waren wieder da. Ich vermutete, dass es hier so etwas wie eine Sitzordnung gab. Fast jeder saß am gleichen Sessel. Dann kam eine Mutter mit ihrer Tochter dazu. Die Tochter, sie trug eine gelbe Jacke und dürfte um die 8 Jahre gewesen sein, nahm sich ein Buch und begann zu lesen. Ich fragte mich, was hat dieses Kind Putin angetan? Hat dieses Kind den armen Putin provoziert? Auf Telegram verfolgte wir wieder die Ereignisse von draußen. Wir konnten feststellen, dass Kyiv eher verschont wurde, jedoch Kharkiv voll erwischt wurde und von der Energieversorgung abgeschnitten wurde. Auch in anderen Teilen der Ukraine kam es zu sehr schweren Einschlägen von Russischen Bomben und den Iranischen Drohnen Shehad. Ursprünglich wollte ich um 0630 zum Bahnhof fahren. Da zu dieser Zeit die russische Bombardierung noch im Gange war, suchte ich mir bereits einen Bus nach Lemberg.
Um 06.59 war der Alarm aus. Ich rannte in die Wohnung hoch, packte meinen Rucksack, nahm mir mein Essen, dazu gabs noch einen Kuss und bestellte mir ein Taxi. Am Bahnhof wurden alle Menschen und deren Gepäckstücke kontrolliert und 10 Minuten vor Abfahrt war ich dann im Zug. Ich habe es nicht mehr geglaubt.  Zeit für Telegram. „Die 2. Nacht in Folge: Der massive russische Luftangriff auf die Ukraine, gefühlt mit allem, was es gibt – von iranischen Drohnen und ungenauen Marschflugkörpern CH-22 bis zu aeroballistischen Kinschal Raketen. Volle U-Bahnhöfe und Luftschutzbunker hier in Kyiv“ berichtete der auf der Krim geborene Journalist Denis Trubetskoy. Diesmal verlief die Nacht nicht gut. Russland hat das Ziel Menschen zu töten erreicht. Von den 151 Luftzielen konnten (nur) 92 abgeschossen werden.
Im Zug fand ich endlich Schlaf. 9 Stunden würde die Fahrt bis nach Lemberg dauern. In Lemberg holte ich mir noch ein Abendessen in der Innenstadt. Dazu kam die Nachricht aus Moskau über einen Terroranschlag. Was mich wundert, obwohl die USA Russland vor diesem Terror Anschlag gewarnt hat, stritten russische Blogger diese Tatsache ab. Wie es aber möglich ist, dass Olga dank ihren Telegram Nachrichten immer wieder Kriegsereignisse vorhersagen kann, aber der Kreml trotz Terrorwarnungen von den USA einen Terroranschlag nicht verhindern kann, verstehe ich zur Zeit nicht.  Genauso wenig verstehe ich die Sicherheitskontrollen in Russland. Da ich seit 14 Jahren nach Russland reise, weiß ich, dass bei jedem Flughafen, jedem Bahnhof, jedem U-Bahnhof und jedem Einkaufszentrum Eingangskontrollen gibt. Wie konnten die Terroristen trotz diesen Kontrollen Waffen in das Gebäude schmuggeln? Warum wurde von russischen Blogger die Lüge verbreitet, dass ein Ukrainischer Kastenwagen vor diesem Gebäude stand. Klar, in Zeiten wie diesen ist es natürlich überhaupt kein Problem quer durch Russland mit einem ukrainischen Kennzeichen zu fahren. Später stellte sich heraus, dass es ein Kennzeichen aus Weißrussland ist.
Ich ging schlafen und am Samstag war ich bereits vor 8 Uhr am Busparkplatz vor dem Lemberger Bahnhof. Warum wir gut 20 Minuten später losfuhren und 15 Minuten später gleich mal 40 Minuten Pause machten, konnte mir keiner erklären. Eine Stunde und paar Minuten bevor mein Zug von Przemyśl losfahren würde, waren wir erst auf der Grenze. Und der Busfahrer wollte mal eine Pause machen. Ich wusste, dass ich so meinen Zug nicht mehr erreichen würde. Also musste ich gehen. Ich nahm meinen Tramper Rucksack und verabschiedete mich zu Fuß von der Ukraine. Den Fußweg in die EU nehmen sehr viele Personen in Anspruch. Es gibt sogar einen eigenen Weg der mit Stacheldrahtzaun begrenzt ist. Als EU Bürger durfte ich mich noch vordrängen und somit war ich schnell in Polen angelangt. Noch wenige Kilometer bis zum Bahnhof und nur mehr 40 Minuten Zeit. Ein Taxifahrer sah mich und sein Geschäft seines Lebens. 20 Euro war ich gleich los und schnell am Bahnhof. Für dieses Geld fahre ich in Kyiv 2 Tage mit dem Taxi. Gut 9 Stunden später war ich endlich in wieder in Wien.